Amtlich bewilligte Thora-Verbrennung in Stockholm

1 year ago
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Wo liegen die Grenzen gelebter Demokratie, für die sich Generationen aufgeopfert haben, damit sie überhaupt erst als Staats- und Regierungsform zustande kommt? Eigenartiges tut sich in Europa: Einerseits möchte man das über Jahrhunderte hinweg Errungene zumindest punktuell bewahren, andrerseits schmeisst man namens eines mit unermesslichen Machtbefugnissen ausgestatteten EU-Konstrukts kostbare Grundrechte zum Teufel. Weit haben wir es im sog. „Wertewesten“ gebracht mittlerweile: Die Neutralität der Schweiz wird bis zur Unkenntlichkeit ausgehebelt, Klimakleber legen ungestraft den Flugverkehr in Hamburg lahm, Kontrollmechanismen werden überall errichtet, damit die eigene Meinung nicht mehr freimütig zum Ausdruck gebracht werden kann, zuvorderst in den Sozialen Medien, beflügelt von einer zum Totalitären neigenden EU-Kommission, die sich anmasst, das Eichmass sämtlicher Verhaltensweisen der europäischen Zivilisation zu werden. Dann wird an einer digitalen Einheitswährung herumgebastelt, die demnächst den Überwachungsstaat im Konsumverhalten zementieren soll. Nur noch einen Katzensprung sind wir in Europa vor der Einführung eines sozialen Verhaltenskodexes, ähnlich wie im menschenrechtsfeindlichen China, entfernt. Trotzdem aber sollen noch ein paar Überbleibsel der Ausdrucksfreiheit erhalten bleiben, um zumindest den Anschein zu erwecken, die Verfassung habe nicht ganz ausgedient. Die polizeiliche Umstellung eines Tatorts gegenüber der israelischen Botschaft in Stockholm, um eine angekündigte Verbrennung der jüdischen Bibel – entweder in Form einer handschriftlichen Pergamentrolle, enthaltend die Schriften des Pentateuchs, der fünf Bücher Mose, oder eines Konvoluts von 24 Büchern in gedruckter Form, genannt Tanach – zu schützen, gehört augenscheinlich zu diesem hehren Vorhaben. Dies soll der ultimative Test sein, um zu prüfen, ob die schwedische Regierung Gerechtigkeit walten lässt, nachdem man mit Erfolg bereits zweimal, zu Anfang dieses Jahres vor der türkischen Botschaft und später vor ein paar Wochen vor der Grossen Moschee von Stockholm, demonstrative Verbrennungsrituale eines Korans unterm Schutzschirm liberaler Freiheitsideale veranstaltet hat, um die Grenzen der demokratisch legitimierten Elastizität auszuloten. Es war ein fatales Fanal, als vor 90 Jahren in Berlin 20’000 Bücher jüdischen und den Nazis gemeinhin nicht passenden Inhalts von einer Horde johlender Uniformierter dem Feuer übergeben wurden. Schon der unvergessliche deutsche Schriftsteller Heinrich Heine warnte vor den unabsehbaren Folgen, welche die Verbrennung von Schriften nach sich zögen. Die nächste Phase sei die Vernichtung von Menschen. Sind wir nun im demokratischen Westen an einen Punkt gelangt, da die sanktionierte Religionsfreiheit zurechtgebogen wird, indem man selbst vor demonstrativer Zerstörung heiliger Kultusgegenstände nicht zurückschreckt? Die jüdische Gemeinschaft Schwedens hat zusammen mit Religionsvertretern des Islams bei der Regierung interveniert – allerdings erfolglos. Bewegte Aufrufe seitens des israelischen Oberrabbiners David Lau sowie des Präsidenten des europäischen Rabbinerverbandes, Pinchas Goldschmidt, verhallten ungehört. Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson sowie Aussenminister Tobias Billström antworteten formaljuristisch, schoben unter Berufung auf die Freiheit des Ausdrucks, der Versammlung sowie der Demonstration die Verantwortung an die lokalen Entscheidungsinstanzen ab. Nun wird also die städtische Polizei der Hauptstadt der Entweihung jüdischen Schrifttums schützend beiwohnen. Die von den Juden als heilig betrachtete Thora ist – gemäss biblischer Überlieferung – vor 3335 Jahren am Berg Sinai zum spirituellsten Kernbereich des Judentums gediehen, von Millionen Menschen erforscht und studiert. Verträgt sich eine lebendige Demokratie wirklich mit staatlich lizenzierter Verbrennung hochwertiger Kultusgegenstände?

© (2023) Pressebüro Infogold
Ronaldo Goldberger, Freier Journalist BR

#Stockholm #Thora #Bibelverbrennung

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